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Losgehen und Ankommen

Menschen zwischen 1945 und 2015 in Brandenburg an der Havel und Umgebung

Unter diesem Motto billdete sich eine Arbeitsgruppe mehrer evangelischer Kirchengemeinden Brandenburgs und Umgebung, der Diakonie Brandenburg an der Havel, der synopsisfilm und der Akademie 2. Lebenshälfte, um dieses Projekt mit einer Ausstellung und umfangreichem Rahmenprogramm zu entwickeln und verwirklichen.

Die Ausstellung wurde am 21. Mai 2021 an der Petrikapelle eröffnet und ist dort noch bis zum 29. Oktober 2021,
Mo. - Sa. von 10:00 - 17:00 Uhr und So. von 12:00 - 17:00 Uhr
zu besichtigen.
Zur Austellung gibt es eine Pressemitteilung, die in das Projekt und die Ausstellung einführt.
Einen kleinen Eindruck der Ausstellung können Sie hier gewinnen:

Losgehen und Ankommen - Video zur Ausstellung

 

Im Rahmen dieses Projektes führt die Akademie 2. Lebenshälfte e.V. in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der Projektgruppe folgende Rahmenveranstaltungen als Politische Bildung durch:

22. Juni 2021, 15:00 - 18:00 Uhr, Gemeindehaus Pritzerbe, Marktstraße 6, 14798 Havelsee, OT Pritzerbe
Flucht vor dem Krieg und Ankommen in der neuen Heimat nach 1945

31. August 2021, 15:00 - 18:00 Uhr, Gemeindesaal der Domgemeinde, Burghof 10, 14776 Brandenburg
Vietnam - Zur Ausbildung in die DDR gekommen und 1990 geblieben

16. September 2021, 17:00 - 20:00 Uhr, Auferstehungskirche, Brahmsstraße 12 A, 14772 Brandenburg
Rußlanddeutsche - 1990 den Wechsel aus Rußland in die Heimat der Vorfahren gewagt

15. November 2021, 17:00 - 20:00 Uhr, Gemeindesaal der St. Katharinengemeinde, Katharinenkirchplatz 2, 14776 Brandenburg
Losgehen und Ankommen seit 2017 "Flüchtlinge unter uns - Heimat..."
Abschluß der seit 2017 laufenden Veranstaltungsreihe mit einer Broschüre dazu

Flucht vor dem Krieg und Ankommen in der neuen Heimat 1945

Zu dieser Veranstaltung fanden sich 23 Teilnehmer in der Remise am Gemeindehaus Pritzerbe ein.
Zum Beispiel erzählte Herr Jürgen Rasztuttis emotional von seinen Erlebnissen, die er als kleiner Junge in genau diesem Dorf erlebte, nachdem er mit seiner Familie 1945 in Pritzerbe angekommen war.
Es war eine erschütternde Geschichte über die damaligen Lebensumstände und der Unmenschlichkeit einiger Bewohner des Dorfes.
Er erzählte, daß es für ihn und andere Flüchtlinge, Umgesiedelte und Vertriebene nach den schlimmen Jahren möglich war, Fuß zu fassen, die Schule zu besuchen, zu studieren und gesicherte und gut bezahlte Arbeitsplätze zu erhalten. So konnte ihnen Brandenburg trotz der schlimmen Erfahrungen der Flucht und der Anfangszeit dennoch eine Heimat werden.

Drei weitere Flüchtlinge und Vertriebene erzählten über ihre Flucht und Ankunft hier. Die Wege waren manchmal abenteuerlich und führten auf sehr verschlungenen Wegen schließlich nach Brandenburg.

Im Anschluß an die fesselnden Erzählungen entspann sich eine lebhafte Diskussion. Vorherrschendes Thema war, daß der von den deutschen Faschisten und ihrer Verbündeter entfesselter Krieg gegen die Sowjetunion die Ursache für ihre Flucht und Vertreibung war.

Während der Diskussion reichten die Mitglieder des BDV Brandenburg eine kleinen Imbiß.

 
Zur Ausbildung in die DDR gekommen und 1990 hiergeblieben

Für diese Veranstaltung konnten wir für den Vortrag mit anschließender Diskussion den letzten Gruppenleiter einer Gruppe Vietnamesen in Brandenburg an der Havel, Herrn Hoang Van Tang, gewinnen.

Fünfzehn Teilnehmer fanden sich zusammen, um dem Vortrag zuzuhören und anschließend ihre Fragen zu stellen.

Hoang van Tang berichtete zunächst aus seinem Leben in Vietnam. Er ist während des Krieges in die Schule gegangen und die Flugzeuge am Himmel waren ständige Begleiter. Es war eine sehr schwere Zeit, unter der viele Vietnamesen bis heute leiden. Stichwort: Agent Orange, das so genannte Entlaubungsmittel, wodurch das Erbgut der Menschen, die damit irgendwie in Berührung kommen, verändert. Durch Agent Orange werden in Vietnam noch heute körperlich und geistig behinderte Kinder geboren.

Nach dem Krieg wurde Hoang Van Tang in die DDR geschickt, wo er zunächst zwei Jahre Deutsch lernte und dann Chemie studierte. Er arbeitete auch in Wolfen und Bitterfeld, um Erfahrungen zu sammeln, die er in Vietnam anwenden konnte. So pendelte er zehn Jahre ständig zwischen der DDR und Vietnam hin und her.

1987 erhielt er den Auftrag, als Gruppenleiter einer Gruppe von 175 Vietnamesen nach Brandenburg an der Havel zu reisen. Innerhalb dieser Gruppe gab es einhundert Offiziere der vietnamesischen Armee im Dienstgrad zwischen Leutnant und Hauptmann, die hierher gesandt wurden, weil es für sie in Vietnam noch keine Arbeit gab. Sie konnten in der DDR Arbeitserfahrungen sammeln, die ihnen dann in Vietnam eine Arbeit und Zukunft ermöglichten.

1990 wurde der Vertrag, der zwischen der Regierung der DDR und Vietnams mit einer Laufzeit von vier Jahren abgeschlossen wurde, durch die BRD sofort und fristlos gekündigt.
Die BRD bot den Vietnamesen 3.000 DM, um in die Heimat zurück zu reisen. Die andere Möglichkeit bestand darin, Arbeit und Wohnung zu finden, keine 3.000 DM zu erhalten und hier zu bleiben. Hoang Van Tang und vierzig weitere Vietnamesen aus seiner Gruppe, entschlossen sich zu bleiben. Die anderen reisten nach Hause.

Unter großen Mühen wurde Wohnung mit einer Toilette auf dem Hof und Arbeit für dreißig der Vietnamesen gefunden. Hoang Van Tang eröffnete ein Gewerbe (Texitilverkauf in Genthin und Magdeburg) und konnte so den anderen zehn Vietnamesen ebenfalls eine Arbeit geben.

Schließlich waren diese Anfangsschwierigkeiten überwunden und heute ist Hoang Van Tang Rentner und stolzer Besitzer eines Kleingartens.

Die anschließenden Fragen der Teilnehmer drehten sich um die Kriegserfahrung, es gab Fragen zum Agent Orange und seinen Auswirkungen heute. Auch die vietnamesische Sprache war Thema, die sehr einfach ist, aber durch die Betonung der Worte schwierig wird, da eine Silbe mit verschiedenen Betonungen bis zu sieben sehr unterschiedliche Bedeutungen haben kann.

Die Frage nach den Kindern der Vietnamesen wurde dahingehend beantwortet, dass fast alle studieren. Einige jedoch verlieren ihre Muttersprache. Die meisten können zwar noch vietnamesisch sprechen, es aber nicht mehr alle können es auch schreiben oder lesen.

Es gibt natürlich noch Verwandte in Vietnam, da ein Urlaub aber sehr teuer ist, können die höchstens aller fünf Jahre besucht werden. Hoang Van Tang beschrieb seinen ersten Eindruck von Hanoi, als er Ende der neunziger Jahre das erste Mal auf Urlaub nach Vietnam flog. Es war alles sehr ärmlich. In der Zwischenzeit hat sich jedoch vieles geändert und das Leben ist besser geworden.
Wieder in Vietnam leben möchte Hoang Van Tang nicht. Er lebt nun seit über dreißig Jahren in Brandenburg und diese Stadt ist ihm Heimat geworden.

Diese Diskussion, die eher eine lebhafte Unterhaltung war, wurde bei einem vietnamesischen Essen fortgeführt.

 
1990 den Wechsel aus Russland in die Heimat der Vorfahren gewagt

Für diese Veranstaltung konnten wir für den Vortrag mit anschließender Diskussion Dr. Waldemar Bauer aus dem Verein der Russlanddeutschen in Brandenburg an der Havel „Neue Zeit“ gewinnen.

Zwanzig Teilnehmer hatten sich in der Auferstehungskirche zusammengefunden, um dem Vortrag des Dr. Waldemar Bauer zu folgen.

Zunächst erzählte Dr. Bauer, daß es außer der bekannten autonomen Republik der Wolgadeutschen noch zwei weitere Gebiete in der Sowjetunion gab, in der überwiegend Deutsche, die in den vorangegangenen Jahrhunderten nach Russland einwanderten, lebten: Katharinengrad und Wilhelmgrad (Grad ist eine russische Bezeichnung für Stadt). Die Deutschen sprachen dort ihre Muttersprache und pflegten ihre Bräuche. Die russische Sprache erlernten sie ab der dritten Klasse wie eine Fremdsprache in der Schule.

Schließlich schilderte Dr. Bauer die Umsiedlung der Russlanddeutschen während des Krieges nach Sibirien und Kasachstan. Seine Familie wurde nach Sibirien umgesiedelt. Dort wurde sie in die „Arbeitsarmee“ eingegliedert, um in den verschiedenen, hinter den Ural evakuierten Betrieben zu arbeiten, damit die Front versorgt werden konnte. Es war ihnen auch nach dem Ende des Krieges nicht gestattet, in die vorherige Heimat zurückzukehren oder nach Moskau oder Leningrad (heute St. Petersburg) umzusiedeln.

Nach dem Tod Stalins durften sie Mitte der fünfziger Jahre ihre zugewiesenen Wohnstätten in Sibirien verlassen und sich – außer in Moskau oder Leningrad (St. Petersburg) – überall niederlassen. Auch in die Wolgarepublik durften sie nicht zurück. Für die damals enteigneten Häuser wurden sie nicht entschädigt.

Die Familie Dr. Bauers ging nach Kasachstan. Hier besuchte Dr. Bauer die Schule, schloss sie erfolgreich ab und studierte Forstwirtschaft. Auf diesem Gebiet schrieb er auch seine Doktorarbeit. Es ging um die mechanisierte Aufforstung der Wälder. Für diese Technologie ist Dr. Bauer im Besitz des Patentes.

Im Jahr 1990 waren in Kasachstan – und der gesamten Sowjetunion – plötzlich die Regale leer. Es gab oft nichts zu kaufen: kein Brot, Fleisch, Getränke oder sonst etwas.

Der Vater des Dr. Bauer war bereits Ende der achtziger Jahre nach Deutschland umgesiedelt. Ihn besuchte er nun, Anfang der neunziger Jahre, für einen Monat um für sich festzustellen, ob man hier leben könnte.

Nachdem er das mit seiner Familie positiv entschieden hatte, wurde die Umsiedlung in Angriff genommen. Der damalige Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl, hatte damals die Russlanddeutschen eingeladen, in die BRD zu kommen.

Während des Aufenthalts im Heim für Aussiedler und der Überprüfung, ob er tatsächlich Deutscher sei, wurde er zu seinem Leben in der Sowjetunion und seiner Qualifikation befragt. Damals verstand er deutsch, konnte aber nur schlecht deutsch sprechen.

Der Anfang war wegen der Sprachbarriere, der anderen Kultur und Erziehung recht schwierig. Die Rußlanddeutschen staunten aber, daß sie für’s Nichtstun Geld erhielten – die Sozialhilfe. Irgendwer sagte ihnen aber, dass sie das Geld an den Staat zurückzuzahlen hätten. Das erwies sich später als falsch.

Nun wurde so wenig wie möglich von dem Geld ausgegeben und nach Arbeit gesucht. Das gestaltete sich – ebenfalls wegen der Sprachbarriere schwierig. Dazu kam, dass in der Sowjetunion abgeschlossene Studien hier meistens nicht anerkannt wurden. Es wurde ein Praktikum verlangt, das nicht bezahlt wurde, aber die Zahlungen der Sozialhilfe wurden ebenfalls eingestellt. Dazu kamen wiederum die Sprachbarrieren, die ein Praktikum auf Deutsch erschwerten oder sogar verhinderten.

Nach einem halben Jahr Aufenthalt in der BRD konnte ein Sprachkurs besucht werden.

Herr Dr. Bauer gründete den Verein „Neue Zeit“ und widmete sich der Hilfe der später dazu kommenden Russlanddeutschen beim Ausfüllen der Anträge, beim Verständnis der Bürokratie in der BRD und bei der Arbeitssuche durch Angebote, um zunächst die Sprache und später eventuell einen neuen Beruf zu erlernen.

Er war bereits im Heim für die Aussiedler beratend für die anderen tätig gewesen und ging davon aus, daß ihm dieses Wissen helfen wird, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Er selbst hat eine weitere Ausbildung absolviert, da auch seine Ausbildung in der BRD nicht anerkannt wurde. So ließ er sich zum Manager für GUS-Staaten ausbilden.

Er wurde in der Akademie Seehof eingestellt und ist dort auch heute noch im Beirat ehrenamtlich tätig.

Um die Kommune und die Verhältnisse hier besser kennen zu lernen, wurde ihm empfohlen einer Partei beizutreten. Er entschied sich für die CDU und saß für diese Partei auch als Abgeordneter in der Stadtverordnetenversammlung von Brandenburg an der Havel.

Nach dreißig Jahren in der BRD wäre seine Rente so hoch wie die Grundsicherung gewesen. So entschloss er sich mit seinem Vater, ein Wohnhaus mit drei Wohnungen zu kaufen. Eine davon bewohnt er mit seiner Frau, zwei vermietet er und bessert damit seine Rente auf.

Viele der Russlanddeutschen sind in den Westen gegangen, wo sie bessere Chancen für eine Existenz hatten. Es ist erstaunlich, dass manche im Westen problemlos in ihrem Beruf arbeiten konnten, während hier der Abschluss nicht anerkannt wurde.

Eine Teilnehmerin erzählte im Zusammenhang mit der Anerkenntnis von Abschlüssen, daß in der Schule, in der sie als Lehrerin unterrichtete, eine Frau als Reinemachefrau arbeitete, die in Russland Ärztin gewesen sei. Ihr Abschluss wurde hier nicht anerkannt, es sei denn, sie würde ein einjähriges Praktikum machen, was ihr wegen der fehlenden Sprachkenntnisse nicht möglich gewesen sei.

Diese Aussage wurde von Katrin Tietz, der Integrationsbeauftragten der Stadt Brandenburg, die an dieser Veranstaltung teilnahm, bestätigt. Bei bestimmten Berufs- und Universitätsabschlüssen, wird ein halb- bis einjähriges Praktikum gefordert, bevor der Abschluss anerkannt wird und es möglich ist, diesen Beruf auszuüben. Es ginge gerade darum, die Sprachkenntnisse und natürlich auch die Fachkenntnisse nachzuweisen, die für die Berufsausübung in der BRD nötig sind.

Herr Bauer ergänzte, daß es eine Liste mit Berufen gibt, die anerkannt werden, welche ein Praktikum erfordern und welche nicht anerkannt werden.

Abschließend stellte Herr Dr. Bauer fest, dass fehlende Deutsch-Kenntnisse und bürokratische Hürden für Migranten auch heute das Haupthindernis für eine erfolgreiche Integration darstellen.

In der weiteren lebhaften Diskussion wurden noch viele Fragen zum Gehörten gestellt. Der Austausch wurde danach beim liebevoll vorbereiteten russischen Imbiss fortgesetzt.

 
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