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"Wir wollten ein anderes Land"
Im bis auf den letzten Platz besetzten Veranstaltungsraum der SLB erleben die GĂ€ste Dr. BĂ€rbel Dalichow als eine Person, die sich durch das eigene Leben, das ihrer Mutter, deren Familie, durch gelebte Erfahrungen und erfahrene WidersprĂŒche in einem Land navigiert, das es so nicht mehr gibt; das in den Erinnerungen vieler GĂ€ste jedoch mit vielfĂ€ltigen eigenen Erfahrungen und Erinnerungen verknĂŒpft ist.UrsprĂŒnglich war die Lesung, die Frau Dr. Christine Jann seit lĂ€ngerem konzipiert hatte und an diesem Tag moderiert, mit der Mutter â Frau Brunhild Hanke â geplant gewesen. Im letzten Jahr, im Oktober 2024 ist Frau Hanke - 94 jĂ€hrig - jedoch verstorben. Sie war die erste und bisher einzige Frau, die in Potsdam das Amt einer âOberbĂŒrgermeisterinâ bekleidete â 23 Jahre lang â genauso lange wie die Tochter, Dr. BĂ€rbel Dalichow ab 1990 â also nach der Wende - Direktorin des Filmmuseums in Potsdam gewesen war.
BĂ€rbel Dalichow beginnt die Lesung mit Blick auf das Jahr 1930 als âBrunhilde â damals noch Anweilerâ im MĂ€rz in Erfurt geboren wurde. Sie wuchs in einer Arbeiterfamilie auf; der Vater war Dreher. Nach der 8-jĂ€hrigen Volksschule erlernte Brundhilde den Beruf einer NĂ€herin. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, Mitte 1945, schloss sie sich â damals 15-jĂ€hrig - dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) an; 1946 trat sie in die Sozialistische Einheitspartei Deutschland (SED) ein, studierte und legte das Diplom fĂŒr Gesellschaftswissenschaften ab.1961 - gerade mal 31 Jahre jung - wurde Brunhild Hanke OberbĂŒrgermeisterin von Potsdam.
WĂ€hrend des Vortrags kommen aus dem Publikum immer wieder spontane Nachfragen, auf die Frau Dalichow gerne eingeht und persönliche Gedanken dazu einbringt: offen, nicht selten schonungslos, abwĂ€gend. Es gibt kein âSchwarz-WeiĂâ - weder im Leben der Mutter, der Familie, noch in ihrem eigenen. Die gesellschaftlichen WidersprĂŒche ziehen sich durch das familiĂ€re Alltagsleben, lassen schmerzhafte Erinnerungen zurĂŒck, aber auch ein tiefes GefĂŒhl von Verbundenheit, ohne Beschönigungen. So werden die Lebensgeschichten zweier Potsdamerinnen lebendig, die beide â den vielfĂ€ltigen Widrigkeiten zum Trotz â ihren je eigenen Weg gegangen sind und gehen.
âVon den Erfahrungen anderer zu lernen, das geht nicht.â â so BĂ€rbel Dalichow. Aber wir können Erfahrungen miteinander teilen. - In der Pause stehen sie zusammen: In kleinen GrĂŒppchen, zu zweit tauschen sich die GĂ€ste aus, sprechen miteinander, erzĂ€hlen und berichten von Eigenem. Manche kommen auch mit Persönlichem oder mit SignierwĂŒnschen zum kleinen Tisch, an dem Frau Dalichow ihnen zuhört und zugewandt spricht.
Am Ende der Veranstaltung gibt es langanhaltenden Applaus. Man geht nach Hause, unterschiedlich berĂŒhrt, erinnert, vielleicht auch ein bisschen zuversichtlicher, die Schlussworte von Frau Dr. Dalichow noch im Ohr: âDas Leben ist immer wieder schwer genug ⊠unter jedem Dach gibt es ein âAchâ, wenn nicht noch mehr. Aber man soll dabei auch nicht vergessen, das NĂ€chstliegende zu tun, sich an der Schönheit aufzurichten⊠ein Blatt, eine Begegnung ... und sich an das halten, was unsere Seelen stĂ€rkt.â
Veröffentlicht am 18. März 2025